Teil 2: Warum eine kleine Genvariante so viel verändern kann
Letzte Woche hatte ich wieder eine genetische Untersuchung auf dem Tisch – diesmal von einer Frau Ende vierzig, sportlich, gesundheitsbewusst, aber seit Jahren ohne Energie.
Sie kämpfte mit hormonellen Dysbalancen, chronischer Erschöpfung, Stimmungsschwankungen, Hautproblemen und immer wieder entzündeten, schmerzhaften Gelenken.
Kein Arzt konnte ihr bisher wirklich helfen. Blutwerte „unauffällig“, Ernährung „gut“, keine klare Ursache.
Als wir den Gentest ausgewertet haben, wurde klar: Sie trägt eine MTHFR-Variante, also eine genetische Veränderung in einem der zentralen Enzyme der Methylierung.
Innerhalb von drei Tagen haben wir ihren Supplement- und Ernährungsplan angepasst – gezielt auf die biochemischen Zusammenhänge, die bei dieser Variante relevant sind.
Drei Tage später schrieb sie mir:
„Meine Gelenke sind zum ersten Mal seit Jahren nicht mehr geschwollen. Ich wache morgens ohne Schmerzen auf.“
Und genau deshalb sprechen wir heute über dieses Thema. Denn für viele ist die Erkenntnis über eine MTHFR-Variante kein Makel, sondern der entscheidende Wendepunkt.
Was MTHFR eigentlich ist
Das Gen MTHFR (Methylen-Tetrahydrofolat-Reduktase) kodiert für ein Enzym, das im Folat-Zyklus eine Schlüsselrolle spielt.
Seine Aufgabe: die Umwandlung von 5,10-Methylen-Tetrahydrofolat in 5-Methyltetrahydrofolat (5-MTHF) – also die aktive Form von Folat, die der Körper für die Methylierung braucht.
Wenn dieses Enzym langsamer arbeitet, wird weniger 5-MTHF gebildet.
Dadurch stockt die Umwandlung von Homocystein zu Methionin, der wichtigste Methylspender SAM (S-Adenosylmethionin) sinkt, und die gesamte Kaskade verliert an Dynamik.
Das Resultat ist kein klassischer „Defekt“, sondern ein reduzierter Wirkungsgrad.
Der Körper kann immer noch methylieren – aber nicht mehr so effizient.
Und je nach Lebensstil, Stresslevel, Mikronährstoffstatus oder Hormonlage kann das den Unterschied zwischen Vitalität und chronischer Erschöpfung bedeuten.
Die häufigsten Varianten und was sie praktisch bedeuten
Zwei Varianten sind am häufigsten untersucht:
- C677T (Cytosin → Thymin an Position 677)
Diese Variante reduziert die Enzymaktivität deutlich – je nach Ausprägung um bis zu 70 %.
Personen mit der homozygoten Form (TT) sind besonders empfindlich gegenüber Folsäure, da diese nicht effektiv in die aktive Form umgewandelt werden kann. - A1298C (Adenin → Cytosin an Position 1298)
Diese Variante beeinflusst die Enzymaktivität moderater, wirkt sich aber stärker auf den „Rückkanal“ zur Regeneration von BH4 (Tetrahydrobiopterin) aus – einem wichtigen Co-Faktor für Neurotransmitter wie Dopamin und Serotonin.
Manche tragen beide Varianten kombiniert. Das muss kein Problem sein, wenn die Stoffwechselumgebung stimmt – sprich: die richtigen B-Vitamine, ausreichend Energie (NAD), und keine dauerhafte Stressüberlastung.
Warum Folsäure bei MTHFR-Trägern zum Problem werden kann
Viele Multivitamine und Lebensmittel sind mit Folsäure angereichert.
Das klingt sinnvoll, ist es aber nicht immer. Folsäure ist eine synthetische, stabile Vorstufe, die erst über das MTHFR-Enzym in 5-MTHF umgewandelt werden muss.
Wenn das Enzym aber genetisch verlangsamt ist, staut sich Folsäure im Blut – ohne biologisch aktiv zu sein.
Man spricht hier von „unmetabolized folic acid“ (UMFA). Diese Form kann sich an Rezeptoren binden, ohne sie zu aktivieren, und somit die eigentliche Folatwirkung blockieren.
Das erklärt, warum viele Menschen trotz „hoher Folsäurewerte“ an Folatmangel-Symptomen leiden: Müdigkeit, Stimmungsschwankungen, hormonelle Probleme oder erhöhte Homocysteinwerte.
Die Lösung liegt darin, nicht mehr auf synthetische Folsäure zu setzen, sondern direkt die aktive Form – 5-MTHF – zuzuführen.
So umgeht man das Enzymproblem und versorgt den Körper unmittelbar mit dem, was er tatsächlich braucht.
Der biochemische Dominoeffekt
Wenn der Folat-Zyklus verlangsamt ist, zieht das weitere Kreisläufe mit sich:
- Homocystein steigt an, weil die Rückführung zu Methionin nicht funktioniert.
- Der Mangel an SAM (S-Adenosylmethionin) führt zu einer schwächeren Methylierungsleistung.
- Neurotransmitter wie Dopamin, Serotonin und Noradrenalin werden ungleichmäßig gebildet.
- Östrogene werden langsamer abgebaut, was bei Frauen zu zyklischen Beschwerden und PMS führen kann.
- Glutathion, der wichtigste körpereigene Entgifter, wird weniger effizient regeneriert.
- Entzündungen nehmen zu, die Redox-Balance kippt.
Die Kombination aus chronischem Entzündungsreiz, verlangsamtem Hormonabbau und erhöhter oxidativer Last ist der Grund, warum viele MTHFR-Träger Symptome entwickeln, die nach außen wie hormonelle oder rheumatische Probleme wirken – aber eigentlich metabolischen Ursprungs sind.
Die Rolle der Cofaktoren: Warum man nicht nur „Folat“ ersetzen kann
Methylierung ist ein Teamprozess.
Selbst wenn man 5-MTHF supplementiert, funktioniert der Kreislauf nur, wenn die weiteren Cofaktoren in ausreichender Menge vorhanden sind.
- Vitamin B2 (Riboflavin-5-Phosphat): aktiviert MTHFR. Ohne B2 kann selbst aktives Folat seine volle Wirkung nicht entfalten.
- Vitamin B3 (Niacin): liefert NAD/NADPH für die Regeneration der Methylträger.
- Vitamin B6 (P5P): sorgt dafür, dass überschüssiges Homocystein über den Transsulfurierungsweg zu Glutathion abgebaut wird.
- Vitamin B12 (Methyl- oder Adenosylcobalamin): verbindet den Folat-Zyklus mit dem Methionin-Zyklus.
- Magnesium: stabilisiert über 300 enzymatische Reaktionen, unter anderem die Umwandlungen im Methylstoffwechsel.
- Cholin/Betain (TMG): dient als alternativer Methylspender und entlastet den Hauptkreislauf.
Erst wenn diese „Basisversorgung“ steht, kann der Körper eine MTHFR-Variante effizient kompensieren.
Was ich in der Praxis immer wieder sehe
Viele meiner Klienten – vor allem Frauen zwischen 25 und 45, aber auch Männer – kommen mit ähnlichen Beschwerden:
Erschöpfung, Stimmungsschwankungen, hormonelle Instabilität, Wassereinlagerungen, Hautprobleme, Gelenkschmerzen, Schlafstörungen.
Das Muster im Labor ist meist das Gleiche:
Homocystein erhöht, Folsäure im Serum hoch, aber RBC-Folat und B12 funktionell niedrig. Dazu häufig ein latenter Magnesiummangel und eine reduzierte NAD-Bildung.
Nach gezielter Korrektur der Mikronährstoffe – insbesondere B2, B3, B6, 5-MTHF, B12 und Magnesium – verändert sich das System oft innerhalb weniger Tage.
Die Energie kehrt zurück, Entzündungen gehen zurück, und der Körper kommt wieder in einen Rhythmus.
Diese Erfahrungen zeigen, dass Genetik keine Endstation ist, sondern ein Wegweiser.
Wenn man weiß, wo die Engstellen sind, kann man den Stoffwechsel wieder öffnen.
Warum gerade hormonelle Themen so stark reagieren
Ein verlangsamter Methylierungszyklus wirkt sich unmittelbar auf den Östrogenabbau aus.
Östrogene werden in der Leber methylisiert, um ausgeschieden werden zu können.
Wenn dieser Schritt stockt, steigt die Östrogenlast – das kann sich zeigen als PMS, Wassereinlagerungen, Brustspannen, Stimmungsschwankungen, Hautunreinheiten oder Gewichtszunahme um den Zyklus herum.
Bei Männern kann das Verhältnis von Testosteron zu Östrogen kippen – mit Symptomen wie Müdigkeit, vermindertem Antrieb, Gewichtszunahme oder Libidoverlust.
Sobald die Methylierung wieder in Gang kommt, normalisiert sich dieser Hormonstoffwechsel meist von selbst. Das erklärt, warum viele nach einer gezielten Anpassung des B-Vitamin-Haushalts plötzlich „klarer im Kopf“ sind, besser schlafen oder wieder hormonell stabiler werden.
Ernährung und Supplementierung bei MTHFR-Varianten
In der Praxis hat sich eine klare Reihenfolge bewährt:
- Magnesium auffüllen, um die enzymatische Aktivität zu stabilisieren.
- B2 (Riboflavin-5-Phosphat) und B3 (Niacin oder Nicotinamid) hinzufügen, um den Zyklus zu „starten“.
- B6 (P5P) einsetzen, damit Homocystein abgeleitet werden kann.
- Cholin/Betain (TMG) über Ernährung (Eier, Leber, Fisch) oder moderate Supplementierung integrieren.
- Erst dann 5-MTHF und B12 (Methylcobalamin oder Adenosylcobalamin) einschleichen – langsam und in niedriger Dosierung.
Diese Reihenfolge verhindert Überreaktionen und sorgt dafür, dass der Körper mit der neuen Stoffwechsellage Schritt halten kann.
Laborwerte und Diagnostik
Für die Beurteilung einer MTHFR-Problematik sind folgende Parameter entscheidend:
- Homocystein (idealerweise zwischen 6–8 µmol/l)
- Holo-Transcobalamin (aktives B12)
- Methylmalonsäure (MMA)
- RBC-Folat
- B2 (Riboflavin) – selten gemessen, aber häufig limitierend
- B6 (P5P)
- Zink, Kupfer, Ceruloplasmin
- Magnesium (Erythrozyten)
- Ferritin und Eisenstatus (da Eisen für die Methioninsynthase-Reaktion relevant ist)
Wer Klarheit über seine genetische Variante möchte, kann einen Gentest direkt über meine Seite durchführen lassen – oder schreibt mich dazu einfach auf Instagram Tobias_rothe an, dann können wir das Ganze gemeinsam angehen.
Entscheidend ist aber immer die Kombination aus Genetik + Labor + Symptomverlauf.
Fazit
Die MTHFR-Variante ist kein Defekt, sondern eine biochemische Besonderheit.
Sie zeigt, dass dein Stoffwechsel präziser abgestimmt werden muss – nicht komplizierter, sondern gezielter.
Wenn du die richtigen Nährstoffe zur richtigen Zeit einsetzt, kannst du den genetischen Nachteil vollständig kompensieren.
Für viele ist das der Moment, in dem sich chronische Müdigkeit, hormonelle Probleme oder diffuse Schmerzen endlich auflösen.
Nicht, weil ein neues „Wundermittel“ gefunden wurde, sondern weil man den Körper versteht – und ihm das gibt, was er braucht, um seine natürliche Regulation wiederzufinden.
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Und wie immer gilt: Beachtet unsere B-Vitamin-Wochen noch den ganzen November auf capsplus.de.
B-Vitamine sind nicht einfach Mikronährstoffe. Sie sind die Schaltstellen deines gesamten Stoffwechsels.
Euer Tobi